Autor: Wolfgang Kräußlich | Chefredakteur SPS-Magazin 

Wie 5G seinen Nutzen in der Industrie entfaltet

überall verbunden

Die Anbindung verteilter Anlagen, fahrerlose Transportsysteme oder Augmented Reality zu Wartungszwecken – schnelle drahtlose Datenverbindungen wären an vielen Stellen hilfreich. Der Mobilfunkstandard 5G will Geschwindigkeit und Echtzeitfähigkeit in jeden Winkel bringen. Doch wie klappt das?

Über kaum ein technisches Thema wird in der Öffentlichkeit so kontrovers diskutiert wie über den neuen Mobilfunkstandard 5G: Gesundheitsrisiken und Manipulation durch Tech-Konzerne auf der einen, die Lösung aller globalen Kommunikationsprobleme auf der anderen Seite. Doch ungeachtet der Verschwörungstheorien und Heilsversprechen bietet die Technologie echten Nutzen auch in der Industrie. Man muss nur wissen wie.

5G kommt

Dass der Mobilfunkstandard bereits unterwegs ist, zeigen auch die Zahlen. Laut dem Ericsson Mobility Report hatten Ende 2020 bereits 15% der Weltbevölkerung eine 5G-Netzabdeckung. In fünf Jahren, also 2026, sollen immerhin 3,5 Milliarden Menschen Zugang zu 5G haben und aktuellen Hochrechnungen zufolge mehr als 54% der mobil übertragenen Daten weltweit per 5G transportiert werden. Dass man auf den neuen Datenturbo nicht lange warten muss, erwartete anlässlich einer Tagung der ZVEI-Akademie auch Roland Sillmann von der Managementberatung Wista. Er verglich die Adaptionsdauer, also die Zeit, die eine Technologie braucht, um mehr als 50 Millionen Nutzer zu haben: Beim Automobil dauerte das 62 Jahre, beim Telefon 50 Jahre und beim iPod nur noch vier Jahre. Der Wert bei 5G dürfte seiner Meinung nach noch schneller sein als beim iPod.

Vorteile für die Industrie

Doch warum soll 5G nun für die Industrie interessant sein? Was bringt es im Vergleich zu Feldbus und Netzwerk? Zumal doch drahtloser Kommunikation immer noch der Ruf der Unzuverlässigkeit anhaftet. Klar, verteilte Anlagen, etwa Windkraft oder Wasserversorgung, sind im Mobilfunknetz gut aufgehoben. Aber in der Werkhalle? Nun, im Wesentlichen sind es dort die üblichen datenintensiven Industrie-4.0-Features, die eine drahtlose Anbindung von Geräten erfordern. Fahrerlose, autonom agierende Transportsysteme, Augmented Reality mit Videoübertragung in beide Richtungen, das ist kabelgebunden überhaupt nicht vorstellbar. Doch auch smarte Sensoren und Kamerasysteme brauchen so viel Bandbreite, dass man die üblichen Bussysteme und Feldnetze schnell an ihre Grenzen bringt – ganz zu schweigen von der Frage, ob es sinnvoll ist, die ganze Big-Data-Kommunikation immer durch die lokale Steuerung zu jagen.

Campus-Netze als Killerfeature

Weil in einer Fabrik andere Anforderungen an Latenzen und Zuverlässigkeit gelten, haben die Vordenker von 5G das Campusnetz erfunden. Es schließt die Lücke zwischen öffentlichem Datennetz draußen und Wireless-Connectivity drinnen. Die Idee: Man erhält für ein begrenztes Gebiet, ein Werksgelände etwa, eigene Frequenzen für ein privat genutztes 5G-Netz. Das Roaming zwischen öffentlichem und Campusnetz ist möglich, innerhalb des Campus’ hat man aber exklusiven Zugriff und höhere Leistungsdaten. In einer vom Dienstleister betriebenen Operator Edge Cloud sind derzeit Latenzen von 40ms (Return Trip Time) möglich. Betreibt man eine eigene Campus Edge Cloud, kommt man auch auf 10ms. Zusammen mit der hohen Teilnehmerzahl, der üppigen Datenbandbreite von 10GBit/s und einer Ortungsgenauigkeit von 10cm lässt sich da schon so Einiges anstellen.

Allerdings: Passende industrielle Komponenten fehlen derzeit. Der Smart-Sensor oder die SPS mit integriertem 5G-Chip lässt noch auf sich warten. Im Augenblick wagen sich die Automatisierer bestenfalls an 5G-Router oder andere Netzwerkbausteine. Was sicher auch daran liegt, dass die neuen Standards noch nicht ganz fertig beziehungsweise in Arbeit und damit im Wandel sind. Analog zu TSN könnte es passieren, dass Early Adopter ihre Produkte nach finaler Verabschiedung des Standards nochmal anpassen müssten. Das macht vorsichtig

Standards in Arbeit

Tatsächlich ist es so, dass viele auf Ultra-Reliable Low Latency Communications (URLLC) warten. Eine ultra-zuverlässige Kommunikation mit geringer Latenz erschließt schließlich eine neue Klasse von Anwendungsfällen. Den Einstieg in Richtung URLLC unternahm das 3GPP mit der 5G-Release 15 (Releases 16-18 sind derzeit in Planung). Das 3GPP (3rd Generation Partnership Project) vereint die Telekomunikationsverbände ARIB, ATIS, CCSA, ETSI, TSDSI, TTA und TTC und koordiniert die globale Standardisierung. Für Echtzeit-Kommunikation definierte besagtes 3GPP das New Radio Interface (NR) mit einer Latenzzeit von 1 ms und einer Zuverlässigkeit von 99,999%. Auch die internationale Fernmeldeunion (International Telecommunication Union, Radiocommunication, ITU-R) spezifiziert eine One-Way-Latenz von 1 ms für die Benutzerebene in künftigen 5G-Standards. Allerdings ist Klarheit hier wohl erst Ende 2022 zu erwarten, wenn die Roadmap neue 5G-Releases vorsieht. Das 3GPP-Release V16 etwa definiert eine neue Ende-zu-Ende-5G-Stand-Alone-Architektur (SA). Die hat einen eigenen 5G-Kern und lässt sich damit auch ohne LTE betreiben. Außerdem bietet sie zwei wichtige Funktionen: Network Slicing und Mobile Edge Computing (MEC). Gerade das Network-Slicing ist nützlich, da Aufgaben innerhalb des Campusnetzes auf verschiedene Netzwerksegmente aufgeteilt und parallel bearbeitet werden können, ohne dass Rückwirkungen zu befürchten sind. Das kann die Zuverlässigkeit von Applikationen signifikant erhöhen.

Die Zukunft gibt es nicht kostenlos

Allerdings – und das wird in der Diskussion um 5G gerne weniger prominent behandelt – kostet der neue Standard auch Geld – laufende Kosten. Denn will man 5G im eigenen Unternehmen in einem Campusnetz betreiben, dann reicht die Anschaffung eines passenden Routers nicht aus. Es fallen, ähnlich wie beim Smartphone, regelmäßige Gebühren an. Die Bundesnetzagentur stellt zur Frequenzvergabe eine Formel bereit, mit der man die Anzahl der gewünschten Frequenzen, den Nutzungszeitraum, die Fläche und einiges Andere eintragen kann. Kurz gesagt kann das für einen Bauernhof jährlich 1500€ bedeuten, für eine Fabrik aber auch einmal 50.000€. Hinzu kommen dann auch noch laufende Frequenznutzungsgebühren, die jeweils rückwirkend aufs Jahr berechnet werden. Kein ganz günstiger Spaß, für den man passende Use-Cases schon genau durchrechnen muss. Entsprechend sind es derzeit auch eher die großen Konzerne, die Anträge für Campus-Frequenzen gestellt haben oder gar eigene Testnetze betreiben. 

Das dürfte sich allerdings bald ändern. Wenn sich 5G im Consumerumfeld verbreitet – und die aktuellen Premium-Smartphones haben es bereits – dann werden die 5G-Chips so preiswert, dass sie auch den Weg in die kostengünstigere Automatisierung finden werden. Und wenn die Provider erstmal Flatrates für Industriebetriebe anbieten, dann lohnt sich womöglich auch der Fünfjahresvertrag. Wer die Technologie vorab einmal ausprobieren möchte, der kann das in Hannover auf dem Messegelände. Die Deutsche Messe AG bietet Firmen außerhalb von Messen (viel freie Slots derzeit…) die Möglichkeit, eigene Versuche im Campusnetz auf dem Messegelände durchzuführen.

Und wie immer: Augen offen halten. Vielleicht ist Wifi6 ja besser. Aber das ist Thema für einen weiteren Beitrag.

Wolfgang Kräußlich

Chefredakteur SPS-Magazin

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