Mittelständische Unternehmen sehen sich derzeit mit einer Vielzahl von Herausforderungen konfrontiert: Es fehlen Fachkräfte und Mitarbeiter, der Wettbewerbsdruck nimmt zu und die Kosten steigen rasant an. Doch statt mit sinnvoller Automatisierung zu starten, starten Unternehmen hektische Maßnahmen, die das eigentliche Problem nicht lösen. Was sind die Ursachen? Nicht die fehlende Technik stellt ein Hindernis dar, sondern hartnäckige Mythen über Automatisierung, die den Fortschritt ausbremsen. Sieben Mythen werden jetzt anhand von Praxis-beispielen, Zahlen und dem wachsenden Automatisierungsbedarf widerlegt.
Die aktuelle Situation
Die Situation ist paradox: Deutschland braucht Automatisierung dringender denn je – und zögert trotzdem. In Ländern wie Südkorea oder Japan liegt die Roboterdichte pro 10.000 Mitarbeitende bei über 1.000, in Deutschland hingegen nur bei rund 415 Robotern pro 10.000 Beschäftigte. [1]
Was die Lage noch verschärft: Laut einer IW-Studie fehlen allein im Maschinenbau und in der Metallindustrie über 35.000 Fachkräfte. Die Produktion ist am Limit – Schichten werden verkürzt und Aufträge verschoben. [2]
Und doch höre ich in Gesprächen mit Produktionsleitern immer wieder dieselben Einwände.
“Die Stückzahlen sind zu niedrig für den Einsatz von Robotern.”
“Diese Variante ist für uns nicht rentabel.”
“Unsere Prozesse sind zu individuell.”
Das eigentliche Problem steckt nicht in der Technik, sondern in unserem Blick darauf. Und genau diesen Blick drehen wir jetzt um, indem wir die größten Automatisierungs-Mythen entlarven und zeigen, wie Unternehmen sie Schritt für Schritt hinter sich lassen.
Mythos 1: „Automatisierung lohnt sich nur für Großunternehmen“
Wer kann sich Automatisierung heute noch leisten? Die Antwort überrascht:
Praktisch jeder Betrieb. Die Einstiegskosten sind dramatisch gesunken. Modulare Systeme, Plug-and-Play-Roboter, vorkonfigurierte Cobot-Lösungen und clevere Leasingmodelle ermöglichen es heute auch kleineren Betrieben, ohne Millioneninvestition in die Startphase zu gehen.
Ein Beispiel: Roboter im Lackierprozess reduzieren den Lackverbrauch und damit die Prozesskosten. Die erzielten Einsparungen können bis zu 30 % betragen. Verantwortlich dafür sind eine optimierte Transfer-Effizienz und eine Reduzierung des Oversprays. [3]
Automatisierung ist keine Frage der Unternehmensgröße mehr – auch KMUs profitieren davon. Wer jetzt handelt, sichert sich einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil.
✅Mythos-Check: Lohnt sich das wirklich?
Falsch: Automatisierung ist teuer und rechnet sich erst nach Jahren.
Richtig: Moderne Cobot-Lösungen amortisieren sich häufig nach 6–18 Monaten – je nach Prozess teilweise deutlich schneller.
Mythos 2: „Automatisierung bedeutet Arbeitsplatzabbau“
Automatisierung ist ein emotional aufgeladenes Thema. Einige befürchten einen drohenden Jobabbau, andere sehen sogar den Verlust ganzer Berufsbilder. Die vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) durchgeführten Studien belegen eindeutig, dass Automatisierung die Arbeitswelt verändert – jedoch nicht in dem Sinne, dass sie Arbeitsplätze vernichtet.
Im IAB-Kurzbericht 21/2023 wird klar herausgearbeitet, dass Technologien wie KI und Software „die Ausübung verschiedenster Tätigkeiten beeinflussen“, jedoch „ganze Berufe mit ihren vielfältigen Aufgaben nicht übernehmen können“ (IAB 2023, S. 1). Automatisierung wirkt sich ausschließlich auf Tätigkeiten aus, nicht auf Berufsstrukturen. [4]
Die Zahlen sprechen eine eindeutige Sprache. Die Forschenden stellen im IAB-Kurzbericht 13/2019 eindeutig fest, dass Automatisierung seit den 1970er-Jahren nicht zu weniger Arbeitsplätzen geführt hat. Vielmehr hat sie zu einer Umschichtung von Tätigkeiten und Qualifikationen geführt. Die Nachfrage nach menschlicher Arbeit bleibt bestehen, sie verschiebt sich lediglich in Richtung höherwertiger und weniger repetitiver Aufgaben. [5]
Fazit:
Automatisierung ist kein Jobkiller, sondern Job-Transformer. Cobots sind die Zukunft! Sie übernehmen belastende Tätigkeiten und schaffen Raum für höherwertige Aufgaben. Unternehmen, die ihre Mitarbeiter entsprechend qualifizieren, werden die Nase vorn haben.
✅Mythos-Check: Roboter nehmen Arbeit weg
Falsch: Automatisierung vernichtet Jobs.
Richtig: Sie verschiebt Tätigkeiten – und entlastet Mitarbeitende von körperlich belastenden Aufgaben.
Mythos 3: „Automatisierung ist zu teuer und rechnet sich erst nach Jahren.“
Wie schnell darf sich eine Investition amortisieren? Die Antwort hat sich grundlegend geändert. Früher waren komplette Linienneubauten nötig. Heute ermöglichen wir durch schrittweises Retrofitting bestehender Anlagen Amortisationszeiten von oft nur einem Jahr.
Unabhängige ROI-Rechner und Anbieter wie Omron zeigen: Die Amortisationszeiten von Cobots liegen mit realistischen Annahmen häufig im Bereich von rund einem Jahr – je nach Anwendung sogar darunter. [6]
Neue Finanzierungsmodelle wie „Robot-as-a-Service“ verändern die Spielregeln. Die Kosten werden nicht mehr als einmalige Investition verbucht, sondern als planbare, laufende Betriebskosten – ähnlich wie bei einem Leasing-Fahrzeug. [7]
Hier ist meine klare Empfehlung für den Einstieg: Starten Sie mit einem klar abgegrenzten Pilotprojekt.
- Sie gewinnen doppeltes Know-how: technisch und organisatorisch.
- Sie reduzieren das Risiko, indem Sie zunächst nur einen begrenzten Prozessschritt automatisieren.
- Sie sind die Vorbilder in Ihrem Unternehmen und erzeugen so Akzeptanz.
Wer wartet, verliert nicht nur Geld, sondern auch wertvolle Erfahrung.
✅Mythos-Check: Automatisierung ist zu teuer und rechnet sich erst nach Jahren
Falsch: Automatisierung ist ein unkalkulierbares Kostenrisiko.
Richtig: Die Zeiten langer Amortisationsphasen sind vorbei. Moderne Automatisierung ist schneller, modularer und finanziell flexibler als je zuvor.
Mythos 4: „Unsere Prozesse sind zu individuell – das kann man nicht automatisieren“
Das höre ich ständig. Die Realität sieht anders aus: Gerade variantenreiche Prozesse profitieren heute von der Automatisierung. KI-basierte Bildverarbeitung, adaptive Greifer und Machine Learning machen Systeme flexibler als je zuvor.
Die Studie „Humanoide Roboter – Game Changer oder Irrweg?“ des Fraunhofer IPA ist eindeutig: Moderne Roboter erkennen komplexe Objekte, bedienen Maschinen und übernehmen variantenreiche Greifaufgaben. Dank flexibler Greiftechnik und viel-seitiger Einsatzmöglichkeiten passen sie sich schnell neuen Aufgaben an und werden garantiert zum Game Changer. [8]
Das Mittelstand-Digital Zentrum Schleswig-Holstein zeigt in seinem Praxisbeispiel „Kollege Roboter am Montageplatz“, wie bei Buchholz Hydraulik ein kollaborativer Roboter Teile erkennt, greift und Montageplätze selbstständig bestückt. Die aktive Einbindung der Mitarbeiter war der Schlüssel zum Erfolg. Die Akzeptanz der Lösung stieg dadurch deutlich an. [9]
Fazit: KI-gestützte arbeiten inzwischen zuverlässig auch in Bereichen, in denen früher eine Vielzahl von Varianten als Hindernis galten. Automatisierung ist in der Montage der neue intelligente Partner.
✅Mythos-Check: Unsere Prozesse sind zu individuell
Falsch: Variantenreichtum ist ein KO-Kriterium.
Richtig: Gerade variantenreiche Prozesse profitieren dank KI, 3D-Vision und adaptiven Greifern.
Mythos 5: „Wir müssen alles auf einmal automatisieren.“
Viele Unternehmen blockieren sich selbst, weil sie glauben, zuerst ein „großes Gesamtprojekt“ planen zu müssen. Die Realität erfolgreicher Projekte sieht anders aus:
- Sie starten klein, fokussiert und mit klarer Lernkurve.
- Pilotprojekte haben meist eine höhere Erfolgsquote als Komplettumstellungen.
- Schrittweise Automatisierung schont Ressourcen, erhöht die Erfolgswahrscheinlichkeit und stärkt die Akzeptanz.
Hier ist ein Praxisbeispiel, das zeigt, wie man Praxis und Skalierung im Palettieren richtig macht: Viele Unternehmen starten mit einem Cobot am Ende der Linie und skalieren nach ersten Erfolgen schrittweise. Dokumentierte Beispiele zeigen eindeutig: Beim Palettieren sind realistische Payback-Zeiten von 12-18 Monaten möglich. Universal Robots ist überzeugt: Cobots amortisieren sich in 12-18 Monaten. [10]
Der Leitgedanke:
- Denken Sie groß.
- Starten Sie klein.
- Skalieren Sie schnell.
Automatisierung ist kein kurzfristiger, intensiver Prozess, sondern ein kontinuierlicher, lernender Prozess. Wer früh anfängt, skaliert später schneller.
✅Mythos-Check: Wir müssen gleich alles automatisieren
Falsch: Erst Großprojekt denken, dann starten.
Richtig: Piloten gewinnen fast immer. Klein starten – groß skalieren.
Mythos 6: „Automatisierung ist ein reines Technikthema“
Wann haben Sie zuletzt von einem Cobot gehört, der das Projekt verhindert hat? Genau. Automatisierung scheitert heute nicht an der Technik. Sie scheitert dort, wo
- niemand sie will,
- niemand sie erklärt
- und niemand die Menschen mitnimmt.
Die eigentliche Herausforderung ist nicht die Technologie, sondern Haltung, Kommunikation und Kultur. Roboter werden zwar immer schneller – Akzeptanz entsteht aber bei den Menschen.
Beispiel: Europaweite UR-Studie 2025 – Akzeptanz entsteht durch Einbindung
Laut der Europäischen Cobot-Studie von Universal Robots (UR) 2025 beurteilen 84 % der Fachkräfte den Einsatz von Cobots positiv, wenn sie frühzeitig einbezogen, geschult und aktiv beteiligt werden. Nicht die Technik überzeugt – sondern das Gefühl: „Ich werde mitgenommen. Ich verstehe, warum wir automatisieren. Und ich habe eine Rolle in diesem Prozess.“ [11]
✅ Mythos-Check: Technik ist das Problem
Falsch: Automatisierung scheitert an Robotern, Sensoren oder Software.
Richtig: Sie scheitert meist an Haltung, Kommunikation und fehlender Einbindung der Mitarbeitenden. Technik ist selten der Engpass – Menschen sind der Schlüssel.
Mythos 7: „Roboter amortisieren sich nur in Euro“
Rechnen Sie noch mit Excel-Tabellen aus den 90ern? Dann verpassen Sie die Hälfte der Wahrheit. Viele Unternehmen kalkulieren immer noch nur mit klassischen Amortisationszeiten – und übersehen dabei die eigentlichen Werte. Jede Schraube wird durchgerechnet und am Ende wird die Investition doch nicht umgesetzt.
Roboter amortisieren sich nicht nur in Euro. Sie amortisieren sich in:
- Verlässlichkeit
- Qualität
- Prozesssicherheit
- Mitarbeiterentlastung
- Skalierbarkeit
- Wettbewerbsfähigkeit
Doch all das taucht in keiner klassischen ROI-Tabelle auf. Unternehmen ignorieren oft die versteckten Kosten von Stillständen, Ausschuss und Fachkräftemangel. Und übersehen, was es kostet, wenn die besten Leute Fehler nacharbeiten statt Innovationen vorantreiben.
Ein Roboter mag sich auf dem Papier nach vier Jahren rechnen. In der Realität kann er schon nach einem Monat den entscheidenden Unterschied machen: weniger Stress, stabilere Prozesse, mehr Liefertreue.
Fazit: Wer 2025 noch mit dem veralteten Taschenrechner von 1995 rechnet, wird vom Markt überholt. Automatisierung ist mehr als eine Zahl im Excel-Sheet – sie ist eine Investition in die Zukunft.
✅ Mythos-Check: Roboter rechnen sich nur in Euro
Falsch: Die Investition macht sich erst rentabel, wenn der ROI im Excel stimmt.
Richtig: Roboter amortisieren sich in Qualität, Prozessstabilität, Entlastung, Liefertreue, Skalierbarkeit – und in der Fähigkeit, Wachstum überhaupt zu bewältigen. ROI ist mehr als eine Zahl.
Fazit
Ich bin überzeugt: Fortschritt beginnt im Kopf. Diese sieben Mythen beweisen es: Automatisierung beginnt nicht im Maschinenpark, sondern im Kopf. Automatisierung ist kein Selbstzweck, sondern ein Werkzeug für:
- Effizienz
- Sicherheit
- Wettbewerbsfähigkeit.
Sie sichert Arbeitsplätze, reduziert Engpässe und stärkt den Industriestandort Deutschland. Und sie beginnt nicht im Lager oder an der Produktionslinie – sondern in der Chefetage.
Mut, Offenheit und Lernbereitschaft sind heute die wichtigsten Investitionen. Die Technik ist längst da. Entscheidend ist, ob wir sie nutzen.
Oder, wie ein Produktionsleiter einmal zu mir sagte: „Ich dachte, der Roboter nimmt mir Arbeit weg – stattdessen gibt er mir Zeit, die wirklich zählt.“
Günter Heini
Günter Heini ist gelernter Werkzeugmacher und Maschinenbau-Ingenieur. Mit über 20 Erfahrung im internationalen technischen Vertrieb. U. a. hat er für einen japanischen Konzern den Vertrieb in 15 Ländern Osteuropas aufgebaut.