Autor: Iris Lindner | Freie Redakteurin

Schritt für Schritt zum IoT-Retrofit – Teil 1

Alte, mechanische Bestandsmaschinen in das digitale Produktionszeitalter zu überführen lohnt sich in vielerlei Hinsicht. Doch nur wer für sich den eigentlichen Nutzen eines Industrie 4.0-Retrofits klar definiert hat, wird ihn auch erfolgreich umsetzen.

Sich über das Ziel klar werden

Dass digitaler Retrofit oft die wirtschaftlichere Variante gegenüber einer Neuanschaffung ist, ist ebenso bekannt wie die Vorteile und Möglichkeiten, die sich durch die Vernetzung von Maschinen und Anlagen ergeben. Ohne Strategie können aber selbst beim IoT-Retrofitting die Kosten aus dem Ruder laufen. Sei es durch das erneute Nachrüsten, weil die ursprüngliche Lösung nicht skalierbar ist, oder durch die nachträgliche Verarbeitung und Verwaltung der Daten. Nur weil sie die Basis einer Smart Factory sind, muss man nicht alles Erdenkbare erheben und behalten. Und darüber sollte man sich von Beginn an genauso im Klaren sein wie über die Tatsache, dass ein digitaler Retrofit nicht an der Maschine anfängt und in der Cloud aufhört. Je nach Zweck hat er auch Einfluss auf die Unternehmenskultur. Deshalb ist der erste Schritt immer die klare Zielsetzung, was man überhaupt mit dem Projekt erreichen möchte. Liegt die Absicht in der Kosteneinsparung durch Predictive Maintenance? Ist das Ziel, anhand von Daten die Qualität zu verbessern? Soll die Effizienz durch eine Automatisierung der Steuerung erhöht werden? Oder geht man noch einen Schritt weiter und möchte man die Fabrik nicht nur aus der Ferne steuern, sondern auch Machine-Learning-Algorithmen oder Künstliche Intelligenz nutzen, damit die Maschine einen auftretenden Fehler selbst beheben kann?

Definieren, welche Daten man benötigt – und wofür

Ist der Zweck des digitalen Retrofits definiert, geht es an die Bedarfsanalyse. Hierbei wird unter anderem festgelegt, welche Daten erfasst werden müssen. Eine Hilfestellung bietet der VDMA mit einer Checkliste im „Leitfaden Retrofit für Industrie 4.0“. Darin werden auch die für einen Industrie 4.0-Retrofit relevanten Messgrößen in vier Kategorien eingeteilt: Prozessmedien, Umgebungsbedingungen der Maschine, Vibrations- und Bewegungsdaten sowie prozessspezifische Messgrößen. Bereits zu diesem Zeitpunkt lassen sich die Anforderungen an die später benötigte Hardware schon genauer spezifizieren, wenn die individuellen Gegebenheiten in die Bedarfsanalyse mit einfließen. Soll zum Beispiel der Zustand einer Maschine auch über ihre Geräuschentwicklung überwacht werden, ist dies nur möglich, wenn andere Geräuschquellen die Messung nicht beeinflussen. Ebenso ist die Erfassung von Vibrationsdaten einer Anlage nur bedingt sinnvoll, wenn eine alte Walze gleich daneben den Hallenboden zum Zittern bringt.
Ebenso gehört zur Bedarfsanalyse – vor allem in Hinblick auf die darauffolgende Bestandsaufnahme – was mit den erfassten Daten passieren soll. Werden sie lediglich ausgelesen und automatisch archiviert oder soll daraus ein Mehrwert generiert werden, indem sie anderen Systemen zur Verfügung gestellt werden? Danach richtet sich nämlich der Bedarf an Netzwerk-, und IT-Infrastruktur. Denn nicht jede Maschine oder Anlage, die für einen IoT-Retrofit auserkoren wurde, steht auf einer braunen Wiese. Manche haben durchaus schon die Voraussetzungen in Form von integrierter Sensorik oder einer elektronischen Steuerung. Und so gilt es bei der Bestandsaufnahme darauf zu achten, ob die Daten aus der Steuerung auch nach außen geführt werden können.

Praxiserfahrung vom Spezialisten

Vor allem bei alten Anlagen bieten unter anderem die Spezialisten von Heitec Automation hier ihre Unterstützung an. Sie erfassen nicht nur den aktuellen Anlagenzustand und bewerten das Risiko bezogen auf die Anlagensicherheit. Anhand eines virtuellen Modells stellen sie auch alle wesentlichen funktionalen Gegebenheiten der Anlage in Echtzeit nach. „Wenn keine Konstruktionsdaten zur Verfügung stehen, erstellen wir mit Hilfe einer 3D-Abbildung eine Skizze der Anlage. In diese vereinfachte virtuelle Maschine lassen sich die gesamten Hardwarekomponenten der realen Maschine aus der Bausteinbibliothek von Heitec implementieren“, erklärt Marcel Namsler, Vertriebsleiter Sachsen/Mitteldeutschland. Der Vorteil: Die neu geschriebene Software kann am virtuellen Modell getestet werden, während die veraltete Anlage noch produziert. „Durch dieses parallele Testen und Qualifizieren der neuen Steuerungsumgebung reduziert man Stillstandszeit. Auch bei späteren Umbauten und Typintergrationen erfolgen Optimierungen und Tests an dem digitalen Zwilling, ohne in die Produktion eingreifen zu müssen.“
Profis für Ihr Retrofit Projekt finden Sie auf der all about automation. Bei den im Beitrag erwähnten Unternehmen Heitec AG Chemnitz, Erler GmbH und Siko GmbH und bei vielen anderen.

Von S5 auf S7 fast ohne Stilltandszeiten

Manchmal braucht es für einen IoT-Retrofit nur ein Ethernet-Kabel, weil die Schnittstelle bereits vorhanden ist. Hin und wieder muss aber doch ein Update für die Steuerung her, damit sie OPC/UA-fähig wird. Das gilt besonders für die verbreitete Steuerung SIMATIC S5, die seit 2005 nicht mehr weiterentwickelt wird. Während die Hardware noch in bestem Zustand ist, sorgt dieser Mangel bei der Software für wachsende Einschränkungen. Vor allem in den Branchen, in denen der Prozess nicht verändert werden darf. Dabei lassen sich auch ältere Anlagen auf die aktuelle Steuerung S7 umstellen. Mit einem erfahrenen Experten wie der Erler GmbH zum Beispiel kann dies sogar innerhalb kurzer Zeit und auch bei Anlagen im Reinraum erfolgen, sodass sich die notwendigen Stillstandszeiten auf ein Minimum begrenzen lassen.

Externe Sensorik als Datenquelle für mehr Effizienz und Prozesssicherheit

Existieren weder Steuerung noch Sensoren, bleibt nur das Anbringen externer Sensorik. Optische, magnetische, akustische sowie kapazitive Sensoren können ohne größeren Aufwand kontaktlos an Maschinen angebracht werden. Die Spezifikationen der Messsysteme sind dabei so unterschiedlich wie die Anwendungsbereiche, in denen die Sensoren zum Einsatz kommen. Ein Beispiel aus der Längenmesstechnik: Während in der Lagerlogistik teilweise Messstrecken von bis zu hundert Metern bei frostigen Bedingungen erfasst werden müssen, liegt die Herausforderung im Maschinenbau in der Genauigkeit. Verschmutzungen durch Umgebungsmedien wie Späne, Staub oder Kühlschmierstoffe erschweren oftmals den Messprozess. Um die Auswahl der Lösung, die den spezifischen Anforderungen gerecht wird und noch dazu wirtschaftlich ist, zu vereinfachen, empfiehlt der Hersteller von Sensoren und Positioniersystemen SIKO bestimmte Eckdaten frühzeitig zu klären. „Oft können mit überschaubarem Aufwand bestehende Maschinen und Anlagen über Retrofit in deren Effizienz und Prozesssicherheit gesteigert werden. Moderne Sensoren oder Positioniersysteme können auch als Datenquelle fungieren, die es zum Beispiel möglich macht, Produktionseinstellungen digital zu erfassen und zu protokollieren. Gerade in Bereichen wie der pharmazeutischen Produktion ist dies sogar durch Richtlinien vorgegeben. In jedem Fall steht die Analyse der bestehenden Maschinen am Anfang eines jedes Retrofit“, weiß Christian Fischer, Head of Marketing.
Bei medienberührenden oder mechanisch gekoppelten Sensoren ist darauf zu achten, dass die Halterungen zum einen die Ausrichtung der Sensorik erlauben, zum anderen die Befestigung an der Maschine beziehungsweise dem Prozess gewährleisten. Nachgerüstete Sensorik muss vor allem so angebracht werden, dass sie nicht versehentlich berührt werden kann. Vor allem Temperatur- oder Vibrationssensoren würden dadurch verfälschte Messwerte liefern. Auch vor Zerstörung muss sie geschützt sein. Oftmals gibt also bereits die Platzierung des Sensors vor, ob seine Kommunikation und auch die Energieversorgung drahtlos oder leitungsgebunden erfolgt.

Netzwerkschnittstellen und Bandbreiten – der Ausblick auf Teil 2

Aus diesem Grund ist die Netzwerkinfrastruktur ein entscheidender Faktor beim Industrie 4.0-Retrofit. Stehen in unmittelbarer Nähe der Maschine oder Anlage ein Internetzugang für mögliche Cloud-Anbindung, Ethernet, WLAN oder ein Mobilfunknetz (4G/5G) zur Verfügung? Auch hier ist es vor einer Umsetzung ratsam, die aktuelle Verfügbarkeit von Netzwerkschnittstellen und möglichen Bandbreiten wieder im Zusammenhang mit dem eigentlichen Zweck zu identifizieren, da die erforderliche Brandbreite von der Größe der einzelnen Sensordaten sowie von der jeweiligen Sendefrequenz abhängt. Im nächsten Schritt müssen die steuerungsabhängigen Protokolle mit den über verschiedene Technologien übertragenen Sensordaten in eine einheitliche Industrie 4.0-konforme Kommunikation übersetzt werden. Was es hierfür braucht, beschreibt der zweite Teil.

Iris Lindner

Freie Redakteurin

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